Kinderlähmungsspätfolgen/Postpolio-Syndrom

Mit zwölf Jahren hatte ich die Kinderlähmung, von der ich mich damals erstaunlich rasch und gut erholte. Niemand wusste zu jener Zeit, dass diese Krankheit Jahrzehnte später wieder aufbrechen und zu unberechenbaren Folgeerscheinungen führen kann. Die Medizin spricht heute vom Post-Polio Syndrom, wenn Jahrzehnte nach der Akuterkrankung, nach jahrelanger Überbeanspruchung der verminderten Kräfte, bestimmte Erscheinungen einstellen, wofür nicht andere medizinische Erklärungen gefunden werden können.  

Dieses Syndrom hat mich im Jahre 1990 zur Aufgabe meines Berufes gezwungen. Ich weiss heute, ja seit Jahren, um meine stark beschränkte Belastbarkeit, körperlich, geistig, emotionell. Da gibt es nur eine Strategie: Vorbeugen, Achtsamkeit, im schlimmsten Falle: Verzicht, Rückzug.

Die Krankheit hatte auch seine guten Seiten. Ich fand Zugang zu einer spirituellen Ebene, zu einem Lebensborn, aus dem ich mich stets wieder, in kurzer Zeit, regenerieren und aufbauen kann. Aber ebenso schnell sind, infolge Nervenreizleitungsstörungen, jene Erschöpfungszustände wieder da, die für mich und andere unbequem und lästig werden. Hier wird meine Hellhörigkeit schnell zur Falle.

Im Besonderen belasten Gespräche, bei denen Worte und Stimme nicht übereinstimmen, wenn Worte etwas behaupten, die von der Stimme her widerlegt werden. In der Stimme ist alles enthalten, alle Verdrängungen, alle Wünsche, alle Bedürfnisse – der Mangel an Anerkennung, der Mangel an Bedeutung (Geltungssucht), der Wunsch zu gefallen, gehört oder gesehen zu werden; der Mangel an Liebe, der Hunger nach Sex. Das alles sagt die Stimme auch wenn die Worte etwas anderes erzählen.  

Aus meiner Lebensgeschichte heraus habe ich mich früh entschieden, Orte, an denen Ersatzgefühle (Lügen) dominieren so schnell wie möglich zu verlassen. Diese Entscheidung wurde zu einer Grundeinstellung. Solange das Post-Polio-Syndrom nicht wirkt, also keine Lähmungs- und Erschöpfungszustände eintreten, kann ich mit Vernunft meine Haltung ausgleichen, sobald jedoch die Erschöpfung einwirkt, wird die Entscheidung (Es) selbständig und sorgt für Ordnung: Meiner frühen Entscheidung gemäss verlasse ich, oft abrupt, oft auch Ausrufend, solche Orte.

Mich persönlich stört dieser Vorgang nicht. Ich kann damit umgehen. Mir ist jedoch voll Bewusst, dass es für meine Partnerin eine enorme Belastung ist. Ihr gehört meine ganze Dankbarkeit – ich bin aber auch jenen Menschen dankbar, die für Anitas und meine Situation Verständnis aufbringen.

Weitere Informationen über das Postpolio-Syndrom: www.polio.ch

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