Älter werden
Jeden Tag so leben, als ob es der letzte wäre. Mit diesem Bewusstsein gehe ich nach der morgendlichen Meditation den neuen Tag an. Was unternehme ich heute, was muss ich noch bereinigen, damit ich unbelastet sterben kann? Bin ich ausgesöhnt – mit mir und der Welt? Ja, ich bin offen und bereit, vom Leben erfüllt und das macht mich frei. Ich kann jederzeit gehen. Aber wie soll ich die mir gegebene Zeit noch verbringen? Mehr als ein Zeitvertreib kann es ja nicht sein.
Es gibt viele Möglichkeiten das Alter zu verbringen. Aber ich meine, ein intelligenter Mensch kann nicht anders als die ihm gegebene Zeit sinnvoll zu gestalten. So wach und offen wie ich früher meine Schüler unterwies, die Zeit im Garten mit den Pflanzen verbrachte, so aufmerksam kann ich heute die Welt, die Leute mit ihren Sitten und Bräuchen betrachten. Die Neugierde kommt dabei nicht zu kurz. Es ist ein aufmerksames, munteres Leben ganz im Hier und Jetzt! Und ich kann meine positiven Energien jederzeit, in aller Stille, einbringen.
Ein Mensch kann überall sterben, gleichgültig wo er sich befindet, ob auf Reisen, im schmalen Pferch einer Alterssiedlung, oder als Einsiedler/in in gottvergessener Abgeschiedenheit, wie Elisabeth Kübler-Roos, die jahrelang in der heissen Wüste von Arizona, in der Nähe der Stadt Phönix ungeduldig auf ihr Ende wartete. Wichtig ist, dass der Mensch sich in der letzten Phase seines Lebens dem Sein zuwendet – mit dem Sein in Fühlung kommt. Ansonsten jedoch das freud- und lustvolle Leben nicht unterlässt. Hermann Hesse schrieb aus seiner Weisheit heraus, ungefähr zur Mitte des letzten Jahrhunderts: Gut essen, gut trinken und täglich (m)eine Frau. Wer sich daran hält, ob Mann oder Frau, ist gut beraten. Der ist auch mit 80 Jahren noch jung.
Aber das heisst gar nicht aus Habsucht dem Vergnügen nachrennen, sondern die Zeit, die noch bleibt, wohlwollend und wohlüberlegt für sich selber zu nutzen und die Liebe als Seinserfahrung zu geniessen.