King Ödipus

Der von Sigmund Freud benannte Ödipus-Komplex hat mit dem ursprünglichen Drama nicht viel zu tun, auch nicht mit dem klassisch-griechischen Schauspiel von Sophokles (ca. 496 – 406 vor unserer Zeitrechnung). Die Erzählung gehört zum altgriechischen Mythos und war schon dem am Beginn der antiken griechischen Literatur stehenden Dichter Homer im 8. Jahrhundert vor unserer Zeitrechnung bekannt. Sie auf die Gegenwart zu übertragen ist unmöglich. Jedoch mit dem von Freud so bezeichneten psychisch ödipalen Komplex lässt sich vieles erklären und dramatisieren – moderne politische Feudalherrschaften, moderne Familienstrukturen und Gefüge, welche aus der Kraft dieser Fehlentwicklung gedeihen.

Die Handlungen der heutigen ödipalen Psychodramen folgen eigenen Gesetzen, aber immer haben sie denselben Hintergrund: Ein Junge zwischen dem dritten und fünften Altersjahr liebt seine Mutter und möchte mit ihr schlafen. Eine ganz normale Erscheinung, banal und alltäglich und ohne tragischen Exploit, wenn die Eltern, vor allem der Vater damit umgehen kann, was in der Regel der Fall ist. Wenn nicht, können daraus tragische Lebenskomödien entstehen.

Im westlichen Kulturkreis wird dieser Komplex kaum mehr ins Erwachsene-Alter mitgenommen und offen ausgelebt. Jeder Mensch mit einer mittleren Schulbildung muss bald merken, dass das Leben nicht so ist, nicht so sein darf. So sucht er professionelle Hilfe, die ihm in seiner Entwicklung zur inneren Reife weiter hilft.

Hinweis: Ich möchte wiederum darauf hinweisen, dass meine Fallbeispiele stets innere Phänomene in den Fokus nehmen, welche Menschen in ihrer geistigen Entwicklung behindern. Nie sind sie gegen Menschen gerichtet, die darunter leiden. Es ist auch unfair (und gemein), wenn meine Beiträge, aus dem Zusammenhang genommen, gegen darunter leidende Menschen ausgespielt werden. Dermassen Betroffene leiden darunter und sie verdienen unser Mitleid! Meine Arbeiten dienen der Aufklärung und hegen keine negativen Absichten.

Ein alltägliches Beispiel: Drei Protagonisten leben öffentlich, völlig naive, ein klassisches ödipales Dramadreieck. Die inneren Phänomene dominieren die Szene so offensichtlich und halten sie im Banne, dass von einer Geistesschwäche der Beteiligten gesprochen werden kann.  Lieblosigkeit, Hass beherrschen das Aktionsfeld.

 

Für den Sohn ist die Mutter die erste und wichtigste Frau in seinem Leben und er empfindet den Vater bald als überlegenen, sozialen und sexuellen Rivalen. Ist
der Vater psychisch reif und vernünftig kann er damit umgehen, verständnisvoll auf den Jungen eingehen und für ihn zum Vorbild werden, an dem der Junge zum Mann wachsen kann. Nun gibt es aber unzählige unreife Väter, die reagieren auf den Anspruch des Jungen an seine Mutter-Frau mit Eifersucht und beginnen den Jungen, einfältig rivalisierend, despotisch zu unterdrücken; psychologisch gesehen, kastrieren sie ihn.

Weshalb verlässt ein erwachsener Sohn dieses enorme Spannungsfeld nicht? Seine ungelöste Bindung an die Mutter erlaubt ihm diesen Schritt nicht. Er muss bei seiner Mutter bleiben. Psychisch ist er im dritten bis fünften Lebensjahr stehen geblieben, in jener Zeit als er seine Mutter für sich alleine begehrte und zu seinem Vater in Rivalität ging. Weil der Vater in seiner Entwicklung ebenfalls zurückgeblieben ist, kann dieser damit nicht umgehen, unterdrückt den Knaben und behindert sein Wachstum, psychisch und geistig. Dadurch kann sich der Sohn nie mit dem Vater identifizieren und in die eigene Männlichkeit hineinwachsen. Das Problem wäre einfach zu lösen: Der Sohn braucht die wohlwollende Anerkennung des Vaters. Es ist beinahe erbärmlich in der Gegenwart zu sehen, wie der Sohn um die Anerkennung des Vaters buhlt und wie borniert dieser diese liebende Geste verweigert. Die Angst dominiert das Verhältnis der beiden. Der Sohn geht ja nicht als Mann zum väterlichen Partner, sondern als psychisch zurückgebliebener Junge zum rivalisierenden, übermächtigen Vater, der ihn in primitiver Art und Weise immer wieder erniedrigt.

Die Frau/Mutter

Da der psychisch-geistig rückständige Mann ein Werk für seine idealisierte Mutter/Göttin aufbaut, ist die Gattin in seiner Liebe nicht gemeint. Als feinfühliges Wesen ist sie dadurch schwer enttäuscht und gekränkt. Nach der Geburt zweier Kinder zieht sie sich vom Gatten zurück, wendet sich mit ganzem Herzen einem der Söhne zu. Dieser ist bald Ersatz für die nicht sie gemeinte Liebe ihres Gatten, und bindet den Jungen so unbewusst mit psychischen Ketten an sich. Da der Mann von ihr vermeintlich sexuell abhängig ist, will sie ihn durch Verweigerung bestrafen. Das funktioniert leider nicht, weil für die lieblose Triebbefriedigung die Sex-Partnerin beliebig austauschbar ist. Die Gattin sucht deshalb nach anderen, stärkeren Mitteln und findet sie in den düsteren Armen der Depression. Jetzt kann sie der ganzen Welt zeigen wie schlecht es ihr bei diesem Manne geht. Sie erntet für ihr kaum durchschaubares Spiel viel Mitleid und findet, jeweils für kurze Zeit, immer wieder Artgenossinnen, die sich mit ihr verbünden. Sie wird den erlösenden Schritt der Verzeihung nicht finden – eher stirbt sie. Auch in der grosszügigen Wohnung, die er standesgemäss gebaut hat, fühlt sie sich nicht wohl. Eine kleine Wohnung mit einem liebenden Gatten würde ihr Herz erfrischen und ihr vollauf genügen.

Der Meistbedrohte in diesem Drama ist der Vater-Mann. Er ist nicht nur der Mordwut seines Sohnes ausgeliefert, sondern auch der Rache seiner Frau. Seine Blindheit ist, dass er die Welt im emotionalen Stress aus der Perspektive eines psychisch-geistig zurückgebliebenen Dreijährigen sieht und sämtliche Männer als rivalisierende Artgenossen erfährt, die er wie seinen Sohn despotisch beherrschen muss – oder: er will von ihnen nichts mehr wissen. Sie existieren für ihn schlicht und einfach nicht mehr. Tod. Umgebracht.

Tragisch ist, dass seine anerkennenswerten, intellektuellen Fähigkeiten durch dieses Drama immer wieder gestört, ja ausgeschaltet werden.

In der der alt-griechischen Sage wurde König Ödipus von seinem Sohn (versehentlich) umgebracht.

Dieses Drama kann für den bedauernswerten Sohn ein Leben dauern. Denn der drei- bis fünfjährige Junge kann psychisch nicht wachsen und reifen. Er bleibt an seine Mutter gebunden und wird bis zum Tode auf sie warten. Was bleibt ist die kindliche Mordwut auf den Vater, die Rivalität mit ihm und die Angst vor ihm. Es ist voraus zu sehen: Die Geschichte würde sich mit seinen eigenen Söhnen erbärmlich wiederholen.

Er wird in Frauenbeziehungen immer Schwierigkeiten haben. Die beste Lösung scheint jene zu sein, wenn die Frau schon Kinder hat, also schon Mutter ist und einen Sohn mitbringt. Aber immer wird er die gewählte Frau in die Mutterrolle stossen und mit ihr Psychoinzest betreiben. Vielleicht macht die Frau jedoch ein solches Spiel nicht lange mit, weil sie selber als liebende Frau nicht gemeint ist und sich bald weigert, dem Manne als Mutter zu dienen, ausser sie hat Absichten, die ihren sozialen Status aufwerten. Aber auch umgekehrt: Der Sohn
entdeckt nach der ersten Verliebtheit, dass es wiederum nicht die Richtige ist und verlässt sie. Keine wird jemals die Qualitäten der Mutter mitbringen. Der innere, drei bis fünfjährige Junge wird immer wieder nach der Mutter schreien und bei ihr Geborgenheit suchen.

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