Eigenverantwortung und Selbstvertrauen
Wenn ein junger Mensch nicht in die Eigenverantwortung hinein wachsen kann, ist das meistens das Ergebnis einer verfehlten Erziehung, zugleich auch ein soziales und gesellschaftliches Problem. Die Jungen müssen das Lügen lernen oder dürfen eine Wahrheit nicht aussprechen, damit sie der Welt der Erwachsenen genügen und das kann die Selbstsicherheit zerstören und am Selbstvertrauen nagen. Die Schlussfolgerung daraus ist oft, dass sich das Kind sagt: „Ich bin nicht richtig so wie ich bin!“ Es kann dann geschehen, dass sich ein Kind zurückzieht und sich dem Leben gegenüber verweigert. Viele haben die Möglichkeit nicht, durch die Förderung wohlwollender Eltern, den Schritt in eine kreative Lebensgestaltung zu vollziehen und dadurch ihrem Wesen Ausdruck zu verleihen.
Auch Schule und Kirche stehen für unzählige Begebenheiten in denen ein Kind nicht zu seiner eigenen Wahrnehmung stehen darf. Das Kind ist wohl erwünscht, aber nicht so wie es sich entwickelt. Da beginnt die Dressur und das Kind verliert dadurch seine Identität. Das Kind wird als böse eingestuft, nur weil es von Gott ungewollten menschlichen Priestern und Hohlköpfen so gesehen wird.
Daraus kann sich die fatale Haltung der Schuldunterschiebungen entwickeln, in der immer ein Sündenbock für das eigene Unvermögen gesucht wird. Da gibt es Frauen und Mütter, für die ist der Vater an allem Schuld. Gemeint ist damit nicht nur der eigene, leibliche Vater, sondern auch der Mann, der Vater ihrer Kinder und schlussendlich auch noch der Schöpfer-Vater, Gott, oder wie auch immer er angerufen wird. Für Christen ist es eindeutig der „Vater unser, der du bist im Himmel …“
Ohne eigene Verantwortung ist jeder der Betroffenen von jemand anderem abhängig, was früher oder später zur Enttäuschung führen muss. Denn es ist doch klar, wenn ich für jemanden verantwortlich bin, hat diese/r zu tun, was ich für richtig halte. Er/sie hat sich in diesem Falle anzupassen. Und das wird ihm/ihr auf die Dauer gar nicht passen. Als Partner habe ich zum Beispiel gar keine Lust als bedingungslos liebendes Eltern-Ich zu wirken. Ein Partner ist erwachsen und ein gleichwertiges Gegenüber, ohne Wenn und Aber. Für die in der Kindheit eingehandelten psychischen Verletzungen bin ich nicht zuständig und für die Erfüllung von Träumen und Wünschen ist eine höhere Instanz massgebend. Es gehört zur eigenen, ganz persönlichen Verantwortung, um mit dieser in Verbindung zu treten. Grundsätzlich gilt: Wenn ich will, dass es mir gut geht, sorge ich dafür, dass es auch meinem Umfeld gut geht und positiv auf mich zurück kommt. Ich schaffe mir also positive Abhängigkeiten.
Sicherlich gibt es immer wieder Kinder, welche das Glück haben, dass ihre Eltern, Mutter und Vater, in eigener Verantwortung stehen. Dadurch haben sie gute Vorbilder. Solche Eltern schenken den Kindern volles Vertrauen und sie können sich ungehemmt mit allen ihren Möglichkeiten entfalten. Es gibt keine Verbote und keine Tabus, dafür Gespräche und Aufklärung. Sie lernen reden und dürfen ihren Gefühlen Ausdruck geben. Es gibt keinerlei Unterdrückung. Auch wenn es um intime Angelegenheiten geht, finden sie bei den Eltern verständnisvolle Ansprechpartner. Dadurch können sie erwachsen werden und ihre Begabungen leben.
Während meiner Erzieher- und Therapeutenzeit fand ich zu fast hundert Prozent Bildungswillige, die wegen ihren Schuldzuweisungen noch keine Ahnung von Selbstverantwortung kannten. Da machte ich folgende Übung – eine Zeitreise in den vorgeburtlichen Raum. (Es ist eine Übung und kein Glaubensfaktor!):
Stell dir vor: Du bist noch ungeboren und du als Seele entscheidest dich, in das Leben einzusteigen. Du hast jetzt die Möglichkeit deine Eltern zu wählen. Für die Wahl deiner Eltern bist du verantwortlich. Nur du! Du bestimmst die Eltern und sie werden dich zeugen. – Weshalb wählst du jene Eltern, die du gewählt hast? Das ist ganz wichtig. Nimm es voll in dein Bewusstsein: Weshalb diese Wahl? – Du wähltest diese Eltern, weil du diese Eltern für deine Entwicklung brauchst. Es ist deine Verantwortung und aus dieser Verantwortung gedeiht dein ganzes Leben.
Wer die Erkenntnis aus dieser Übung annahm, konnte in seiner Entwicklung einen grossen Schritt in Richtung Freiheit tun. Eigenverantwortung hat auch immer mit der persönlichen Freiheit zu tun. Wenn ich die Verantwortung für mein Leben übernehme, habe ich alle Chancen es nach meinem Vorstellungen zu gestalten. Dazu braucht es allerdings noch eine gefühlsmässige Verbindung mit dem Bewusstsein. Aber die ist für einen intelligenten Menschen leicht herzustellen.
Eine Frage gilt es noch zu beantworten: Wie kann ein Mensch Selbstverantwortung übernehmen, wenn ihm das Selbstvertrauen fehlt? Auch das ist eine Erziehungsfrage. Eltern, die ihren Kindern vertrauen, und achtsam, in bedingungsloser Liebe, den Weg des Kindes aus dem Hintergrund überwachen, können aus ihrer Haltung allfällige Korrekturen leicht einbringen. Das ist eigentlich ein Leichtes, wenn Eltern aus Eigenverantwortung handeln.