Die Suche des Menschen nach Glück

© Simon E. Siegrist / Philosophische ErzählungCradle_(PSF)

Die Philosophien und Bücher darüber sind geschrieben. In Bibliotheken und Buchhandlungen stehen sie dem Interessierten zur Verfügung. In einem davon steht geschrieben: Alles beginnt mit einem Ich-Gefühl, die Suche nach dem Glück, auch Freiheit genannt. Jeder möchte frei sein von Leiden. Für diese Glückssuche wird das Leben hingegeben, wird die Energie eingesetzt, diesem Glück gilt das Streben und Ringen, da opfern sich die Menschen, irren herum. Einige finden es im Hier und Jetzt, ein großer Teil stirbt hoffnungsvoll, es im Jenseits zu finden.

Die meisten Glückssucher entdecken früh, dass es zur dauerhaften Ver­wirklichung des Glückes materielle Unabhängigkeit braucht. Dafür gibt es wenige Möglichkeiten. Die einfachste Voraussetzung ist ein reiches Erbe oder man versucht rasch reich zu werden in sozialer oder unsozialer Vernetzung mit der herrschenden Kultur, oder als dritte Möglichkeit, durch selbst gewählte Armut. Da gibt es den Vagabunden und Landstreicher, den Bettelmönch oder den Mönch im Kloster. Das gilt auch für die Frau. Sie hat unzählige Möglichkeiten. Sie kann sich einem Manne anschließen, der sie ernährt, sich als Hure verschwenden und den Mann ausbeuten, als Tänzerin sich selbst und die Welt betören, in Scheinanpassung dies oder jenes tun, oder als Nonne im Kloster, als Braut Christe, ihr Dasein betend verbringen.

Der Mönch und Asket weiß im Voraus, dass sein Glück von innen kommt. Er fragt nach den Ursachen, welche Leiden und Belastungen hervorbringen, und sucht nach jenen Gründen, die zu Wohlgefühl und Glück führen. Daraus wurde die Lehre der Tugenden. Die Tugend führt ins Glück und in die Freiheit. Ein simples Rezept, durchaus als Feinkost geeignet. Da gibt es kein Streben und Ringen, sondern Hingabe, die zum ureigenen Wesen führt.

Der Kluge verzichtet also auf die äußere Erscheinungswelt, auf das Horten materieller Güter, den Wohlstand. Die materielle Freiheit kann er wohlfeiler haben. Seine Lebenskunst, die er lernt, ist das Freibleiben, ein Leben ohne Anhaftung und Hass, mit wenig Nahrung, die er überall findet. Ein tugendhafter Weg, denn er tut nichts, das Schaden zufügen könnte. Also schadet er auch anderen Menschen nicht. Im Gegenteil! Die Almosen, die er entgegennimmt, sind freie Spenden derer, die den Pfad des Scheins und der Untugend gehen, deshalb mit dem Leiden verhaftet sind und sich daraus nicht zu lösen vermögen. Durch das Annehmen der Spende gibt er die Möglichkeit des Gebens. Er leistet dadurch einen Beitrag an die Seligkeit des Spenders, denn Geben ist seliger als Nehmen.

Die Bettelmönche finden das Glück, weil sie den Weg der Erkenntnis gehen, denn Nichtwissen ist die große Untugend, welche den Pfad verbaut, ins Leiden und in die Irre führt. In dieser Erkenntnis strahlt das Licht der Freiheit. Es ist uraltes Wissen und lässt sich durchaus in moderne Denk- und Handlungs­weisen umsetzen. Was es dazu braucht, ist Bewusstsein.

Emotionale Weisheit oder Narrentum? Der Maßstab ist das Glück. Ist das Lebensglück eines Bettlers ein anderes als jenes eines Millionärs? Kaum, Glück ist Glück, Freiheit ist Freiheit. Nur hat der Bettler keine Reichtumssorgen, er muss nicht um sein Vermögen bangen, nicht einmal um sein Leben. Er kann sterben, keine Angst behindert ihn, er hat losgelassen und lebt sein Leben. Jeder Tag ist sein letzter. Und so lebt er sein Glück, bis er sich hinsetzt und sich dem Sterben hingibt. Aber auch dies wieder ist Schritt für Schritt Glück und Fülle, Kunst und Weisheit des Lebens, ist Wissen, welches aus dem allerletzten Nichtwissen erlöst. Wenn die letzte Angst sich auflöst, die Angst um das eigene Leben, ist der Kelch erfüllt.

Aber alles ist gar nicht so einfach, weil die ureigene Menschlichkeit eine menschliche ist, die, im Ureigensten miteinander vernetzt, den Weg brüderlich und schwesterlich gemeinsam geht. Mancher hatte den Urgrund seiner Existenz gefunden. Er musste zurück auf den Weg des Mitleidens und aus seinem indivi­duellen Selbst Heilendes unter die Leidenden bringen. Ein leichtsinniger Flirt ist es nicht, der Weg zur ureigenen Verwirklichung. Es ist ein Schritt ins Zeit­lose, ein Schritt aus der Illusion in die Wirklichkeit. Und da gelten andere Gesetze.

Wann, wie und wo das Glück verloren ging, weiß niemand so genau. Chris­ten, Juden und andere glauben, dass es mit dem Ausstoßen aus dem Paradies zusammenhängt. Anthropologische Philosophen bringen die These vom dop­pelten Ursprung des Menschen, einem naturhaften, triebhaften bis tierischen und einen kulturellen, geistigen – himmlisch und irdisch zugleich, jedoch voneinan­der getrennt. Die Trennung bleibt in alle Ewigkeit solange der Himmel gegen die Natur ist, der Geist rücksichtslos Gesetze vorgibt, welche der Natur feindlich gesinnt sind. Jede Ansicht hat seine Berechtigung. Auch Träume. Ob sie reale, ideelle oder illusionäre Hintergründe haben, spielt keine Rolle. Ob das verlo­rene Paradies, das Schlaraffenland, wo Milch und Honig fließt, beinahe Mutter­milch aus praller Mutterbrust, vermeintlich oder tatsächlich, ist ebenso unbedeu­tend. Solange der Hunger quälend aus allen Poren schreit, helfen die besten wissenschaftlichen Erklärungen nichts. Da kann nur ein Mensch, der sein Menschsein gefunden hat, Linderung bringen, keine Drogen, nur die liebende Hingabe mit warmer Hand und dem Wort der Verzeihung. Das gute Beispiel ist gefragt, weit mehr als himmlische Versprechungen.

Die Philosophen bemühen sich um Aufklärung. Einige sehen die Entfremdung des Menschen von seinem Wesen, dessen, was e wirklich ist, als zentraler Punkt. Das ist die Trennung. Ein ganz Schlauer in früherer Zeit, dem heiteren Müßiggang und Nichtstun ergeben, entdeckte, dass das Glück viel einfacher zu fassen ist, wenn ein paar Sklaven und Diener mithelfen das Ziel zu erreichen und es zu erhalten. So fand wenigsten einer von hunderten das vermeintliche Glück und konnte es protzend genießen. Dafür durften die schwer arbeitenden Sklaven im Schweiße ihres Angesichts für ihren Herrn Tempel und wundersame Bauwerke errichten, die Zeugnisse ablegen von einer hoch stehenden Kultur, einer in Reinheit strotzenden Moral. Schon damals stand einer befehlend für alle und alle arbeiteten dienend für einen. Einer für alle, alle für einen, dieser Spruch bewährt sich heute noch.

Da Ausbeutung weder als Tugend noch als Laster in den himmlischen Registern verzeichnet ist, hat sie auf das Wohlergehen keinen Einfluss. Andere für sich Arbeiten zu lassen ist von Gutem und fördert den Gemeinschaftssinn. Gesetze und Gebote sorgen für Ordnung und Sauberkeit. Aber das, was der Gemeinheit verboten ist, gedeiht trotzdem heimlich und verborgen, denn der Kluge weiß, dass das Leben der Lust zur Lebenskunst gehört. Durch die Stillung der Begierden öffnet sich dem Mutigen das Paradies schon zur Lebenszeit, hier und jetzt. Auch die Sinne brauchen ihre Nahrung, sind sie doch die Antennen, die sich mit dem Geist verbinden und jene Geistlichkeit hervorbringen, die den Menschen mit Herzlichkeit reden lässt.

Die Menschheit hatte bis heute das außerordentliche Glück, dass immer und immer wieder einer unter tausenden das Glück in seiner Verwirklichung fand. Als beispielhaftes Muster und Vorzeigeobjekt. Die Nachkommen messen ihn an seinem Werk, selten an dem, was er gelebt hat. Das Interessante an einer solchen Biografie ist allerdings immer das, was nicht aufgeschrieben wurde, und das, was er nicht gelebt hat. Wenn ein Mönch zurückgezogen in einer Klause seine Beziehungsunfähigkeit lebte, ist das wahrlich keine Heldentat, eher Angst und Feigheit vor dem Menschsein, auch wenn er dabei Bücher schrieb, die das Leben ausmachen sollen.

Entfremdet vom ureigenen Wesen und wie wieder zurück? Was tut ein in sich gutgläubig Entfremdeter? Er sucht in jener Fremde nach dem Glück, wohin er irrtümlich mit den besten Absichten verführt wurde. Wo sonst soll er das abhanden gekommene Glück suchen, wenn nicht gleich um die Ecke im Schlaraf­fenland des Einkaufsparadieses? Und wenn nicht da, dann ganz bestimmt übers Wochenende im Spielkasino, im Bordell oder in einer geilen Sexshow. Reicht das nicht aus, dann findet es sich mit jeder Garantie auf einer kleinen Insel im Mittelmeer, wo Huren und Zuhälter das süße Leben bereichern. Das Geld und die Träume bleiben dort hängen, derweil die gebeutelte Seele zu Hause in den Pflichten des Alltags mehr und mehr vergraut. Stumm geht sie ein. Wäre nicht ein Traum von jenem Ort, wo sie verloren ging, sie wäre schon längst vergessen.

Einer davon, Achim gerufen, ein verquerter Mann, der noch seinen Traum hatte, in seiner Einsamkeit eingepfercht und verhärtet, machte sich auf, um seine ureigene Wirklichkeit zu suchen. Die Schwierigkeiten waren groß. Sein kleines Vermö­gen reichte nicht weit, um in Unabhängigkeit zu leben. Also wurde er Künstler und suchte sich eine Frau, die ihn finanzierte. Er fand sie. Es gibt immer wieder Frauen, die gerne in Lebendiges investieren. Unter gewissen Vorzeichen bringt das einen Nutzen, der ein Bankgeschäft weit übersteigt. Das Kapital kann in einen kulturschaffenden Menschen angelegt werden, der mehr als reiche Zinsen ver­spricht. So auch hier. Wer fähig ist Kultur zu schaffen oder sie zu bezeugen, ist verpflichtet, dies zu tun und wer in der Lage ist, diese zu finanzieren, ist angehalten dies tatkräftig zu bezeugen.

Obwohl Nunzia, seine Frau, ihm großzügig und tolerant einen weitmaschigen Freilauf gewährte, wurde der nach Unabhängigkeit Strebende von ihr abhängig und hatte ihr gegenüber seine Pflichten zu erfüllen. Die waren maßvoll und bescheiden. Trotzdem empfand er sie als Behinderungen, denn er glaubte eine Botschaft in sich, der er entsprechen musste, eine Botschaft, die seine Persönlichkeit überschritt. Alles, was er daraus tat, tat er schließlich nicht nur für sich, sondern auch für die Gemeinschaft. Damit ließ sie sich gerne erpressen. Was er tagtäglich schaffte, war nicht von besonderer Art. Kaum jemand nahm Notiz davon. Aber eines nahm er richtig wahr: das, was er tat, tat er nicht nur für sich, sondern auch für andere. Da kam bereits uralte Weisheit zum Tragen: Selbstzentrierung und zugleich Hingabe an ein die Person überschreitendes Ziel. Natürlich war bei unserem Künstler diese Weisheit noch lange nicht ausgereift und im Bewusstsein verankert. Sie lag noch vernebelt im Vorbewusstsein und diente als ahnungsvoller Wegweiser.

Jedes Bedürfnis im Menschen nimmt Gestalt an und wird zum Traum, bis er erfüllt wird. Deshalb machte sich Achim wieder auf den Weg, mit dem Versprechen gegenüber seiner fürsorglichen Geldgeberin, bald wieder zurück zu sein. Sie war eine gute Frau und hatte mütterliche Geduld mit ihm. Sie hatte schon früh in der Kindheit das Warten gelernt und nährte sich seelisch seit je von der Hoffnung.

Achim, der sich selber verlorene, reiste ins ferne Indien zu einem Menschheitslehrer, einem begnadeten Weichmacher, der selbst harte Männer zum Weinen brachte. Der war ein Wahrhaftiger, ein mit Humor Gesegneter, der seine Präsenz täglich im Hier und Jetzt bezeugte. Er ließ seine Selbstbejahung und seinen überzeugenden Selbstwert durch Gold aufwie­gen. Für jedes Kilogramm Lebendgewicht forderte er Jahr für Jahr von seinen Anhängern pures Gold. Eine symbolträchtige Handlung, die den oberflächlichen Betrachter spontan an den alt­biblisch verbürgten Tanz um das Goldene Kalb erinnert. Nicht für ihn. Wohl nahm er den täglichen Tanz seiner Anhänger um seine Person wohlwollend und gelassen entgegen, ja, er genoss ihn sogar. Er wollte damit bekunden, dass das Materielle ebenso wertvoll ist wie das Spirituelle. Er machte aus seiner Botschaft einen spirituellen Materialismus wie vor ihm schon einige. Seine goldenen Ratschläge entsprachen durchaus dem gelben Metall, das er auf einer liechtensteinischen Bank hortete. Ein wahrer Goldschmied und Förde­rer individueller Lebensweisen.

Mit seinem Humor konnte er jederzeit witzvoll das ganze menschliche Spektrum großflächig abdecken. Zu jedem Thema hatte er seine Worte. Mühelos flossen sie über und erreichten die gierigen Zuhörer als heilender Balsam für die verwundeten Seelen. Sie wurden nicht satt und schrieen täglich nach mehr und mehr, denn sie saugten wie Säuglinge, die von der Mutterbrust nicht loslassen wollten. Von Entwöhnung kein Wort. Reife Früchte fallen von selbst vom Baume. Viele davon werden zu Nahrung, andere verfaulen zu Dung. Das ist der Weg von Samen und Spreu. Es braucht beide. Ob eine Frucht vom Baume der Erkenntnis fällt oder einfach als Apfel vom Baume, erst durch die Hinterlist einer Schlange wird sie Geschichte.

Mit wenigen Worten viel sagen, ist die Kunst des Weisen, sehr zum Gegensatz jener, die mit vielen Worten nichts sagen, nichts zu sagen haben, weil ihnen das Wesentliche fehlt. Aus der Leere alles in wenigen Worten zu klären, um in der Leere zu bleiben, gehört ebenfalls zur Lebenskunst, statt aus der Angst vor der Leere trostlos vieles zu schwatzen. Der Mensch ist nicht das, was er schwatzt, er ist das Intervall zwischen den Worten, die wortlose Spanne – auch dies ein markanter Satz des Meisters. Das Innehalten macht die Intelligenz aus und nicht der Wortschwall, der die Seelen zu Tode schwatzt, nicht zuletzt die eigene.

Zudem liebte der Meister die Widersprüche – eben weil das Leben widersprüchlich ist, ganz und gar nicht logisch. Da gibt es Männer, die verfluchen am Morgen ihre Frauen als Geflügel, zum Mittagessen speisen sie schmatzend ein Hähnchen und zur Siesta spielen sie Hahn im Korb. Es gibt immer Frauen, welche dieser Philosophie entsprechen. Mit solchen Scherzen brachte er manches Kopf-Ich von der Verzweiflung bis zur Weißglut – eben weil das Leben auch emotional ist und im ganzen Leib stattfindet, im Bauch und in der Brust, nicht nur im Kopf und im Schwanz, intellektuell – sexuell. Dass es auch etwas Übersinnliches gibt, ein Bewusstsein, das nicht vom Denken abhängig ist, das betonte er immer wieder. „Erfahre dich selber, beobachte dein Tun, damit du dich kennen lernst.“

Außenstehende meinten, er wolle seine Anhänger zu Narren machen und sie für dumm verkaufen. Dem war aber nicht so. Er wollte nur, dass seine Zuhörer durch die Widersprüche zum eigenen Denken und Handeln kamen. Die Gutgläubigen und Denkfaulen führte er wohl am Narrenseil herum, bis sie zur Einsicht kamen, dass sie lernen müssen auf sich selber zu hören. Eine reife und geldsparende Einsicht, die durchaus zur Selbstfindung taugte. Viele bleiben unterwegs hängen, weil Selbstfindung mit Eigenverantwortung gekoppelt ist. Sie schlucken die Widersprüche des Meisters, nicken ihm zu und bewundern ihn. Davon konnte er gut leben. Mehr als einmal sagte er voller Humor: „Manch Guru ist lediglich der Teddybär infantiler Kinderwünsche.“ Die Zuhörer lachten und applaudierten begeistert und ignorierten, dass sie angesprochen waren. Dieser Mann besaß Esprit und Humor. Der Spiegel, den er seinen Anhängern vorhielt, erwies sich in vielen Fällen als blind. Aber nicht die vielen, die in ihrem kindlichen Glauben hängen bleiben, machen den Erfolg eines Lehrers aus, sondern die wenigen, die den Weg gehen, ihn verlassen.

Bei einem solchen Meister verbrachte Achim suchend seine Zeit und bemühte sich aus ihm klug zu werden. Der Aberwitz des Meisters warf in stets auf sich selber zurück, zum eigenen Innewerden und das war der Zweck der Übung. Durch das Innewerden wird der Sucher zum Finder. Das, was der Meister als Vortrag allen sagte, unterschied sich ganz wesentlich von dem, was er dem Einzelnen sagte, denn auch hier, nicht für jeden brauchte er dieselben Worte. Er sprach immer so, als ob jeder eine einzigartige Persönlichkeit wäre. So ist es auch. Auch wenn mehr als tausend Menschen beisammen waren, jedem hatte er etwas ganz Persönliches zu sagen. Welche Vielfalt, welcher Reichtum, welche Unerschöpflichkeit, immer war es Nahrung für die lechzende Seele. Aber auch da lachte der Meister: Jeder trägt die ganze Menschheit in sich, jeder ist sie sogar, jeder hat alles. Wer außerhalb sucht, ist ein Narr. Einen Teil davon ins Bewusstsein zu heben ist nicht schwer, auch keine Zauberei. Es ist ja immer der Empfänger, der die Spende auf die Goldwaage legt und entscheidet, ob sie ihm genügt. Es ist das Staunen und die Genügsamkeit, welche das Wunder ausmachen.

So plätschern die Worte eines Weisen, der über sich selber auch lachen kann – er weiß ja, die Liebe hinter jedem Tun, hinter jedem Wort verklärt selbst den grauen Alltag zu einem Feiertag. Feiert das Leben!

Der Sucher war froh einen solchen Meister zu haben, in allen Dingen beschlagen, mit allen Wassern gewaschen, der um die Tricks und Maschen der Menschen wusste, der all die kleinen Bobos und Leiden relativieren konnte. Froh auch, dass einer vor ihm stand, der den Mut hatte die Wahrheit offen zu bekennen.

Der Meister sprach in der Regel nicht viel. Er wirkte mit wesentlichen Worten und durch seine Strahlung. Zu unserem Sucher sagte er nur: „Schon wieder ein Narr, der sich selber in der Fremde sucht. Du hast vergessen in den Spiegel zu schauen und auf das zu achten, was du mit dir selber tagtäglich tust. Du bringst alles mit, was du in deiner Wirklichkeit bist. Ich kann dir lediglich beim Aufwachen helfen. Wachsein ist allerdings etwas anderes als das, wenn du vom Schlaf aufwachst und die Augen öffnest. Jedes Tier tut das.“

Der Meister betrachtete den Ankömmling, der bei ihm sich selber suchte, mit lichtvollen Augen, beinahe strahlend, als ob er ihn durchleuchten wollte. Das Leuchten des Erleuchteten! Achim erschauerte. Der Meister sah, lachte und sagte: „Das Erschauern ist die Grundlage für den Weg der Erkenntnis. Offenbar bist du dir selber noch ein Fremdling. Nur wenige haben ein Selbstbewusstsein, das sich selber wahrnehmen kann. Das Bewusstsein von sich selbst, dem, was man wirklich ist. Viele haben eine Meinung von sich. Sie wissen ihr Geburtsdatum, das Alter und das, was sie als Beruf gelernt haben. Sie haben einen Lebenspartner, sie kennen Freunde und Bekannte, die Kaffeerunde, den Jassklub, den Rhythmikverein und noch einige Dinge mehr. Sie brauchen eine Gemeinschaft und ein Gefühl der Zusammengehörigkeit. Sie messen sich am Sagen der Leute. Daraus schöpfen sie ihren Selbstwert. Aber all das macht das Selbstbewusstsein nicht aus. Sobald ich jemanden Frage, ob er denn seinen Atemrhythmus kenne, bekomme ich in den meisten Fällen ein dummes, fragendes Gesicht zusehen. ‚Was soll das? Der Atem geht von selbst. Da gibt es nichts zu tun. Da muss man nichts dazu beitragen.’ Gewiss, man muss nichts dazu tun. Auch nichts wegnehmen. Es geht ja auch nur um das Bewusstsein. Um das Bewusstsein des ein- und ausströmenden Atems.

Alles beginnt mit dem Atem – mit dem ersten Atemzug bei der Geburt und alles hört auf mit einem letzten, tiefen Ausatmen, das die ganz große Entspannung bringt, gleichbedeutend mit dem Ende der physischen Existenz. Diese Entspannung kannst du heute schon erleben, im Hier und Jetzt, als lebendiges Wesen. Dadurch kommst du voll in deine Potenz, in eine universelle Energie schließlich, zu einem andauernden Orgasmus, zu einem Erschauern deiner ganzen Existenz.

Werde achtsam auf deinen Atem, auf die feinen Bewegungen, die er verursacht. Atme einfach ein und wieder aus. Ganz normal. Aber beobachte dabei wohin der Atem beim Einatmen fließt und was dabei geschieht. Und dann atme wieder aus. Lass ihn strömen. Ändere nichts daran.

Vielleicht sind es nur ganz kleine Dinge die du wahrnimmst. Aber genau diese Kleinigkeiten machen dich aus. Es muss nichts Gewaltiges sein. Es geht nur um die Selbsterkenntnis, um das Entdecken deiner selbst – und schließlich wie du Macht über dich selber bekommst undzur authentischen Person wirst. Die Reise zu dir selbst beginnt mit dem Bewusstwerden deines Atems –zum großen Staunen über dich selbst. Deine Wirklichkeit ist in dir! Achte auf deine Nasenspitze! Das ist der Beginn.“

Lapidar! Das sagte Buddha schon vor 2500 Jahren. Und dieser Lehrer wusste immer noch nichts Gescheiteres, nichts Neues, nichts Originelleres. Trotzdem, die Wirkung ist immer noch dieselbe wie damals. Der Mensch von heute ist auf den Atem angewiesen, wie jener von damals.

Weil es nicht schaden konnte und die Luft auf dem Lande, wo er weilte, rein und gesund war, begann er auf den Atem zu achten. Das war gar nicht so einfach. Die Gedanken störten und lenkten ihn ab, oder dann schlief er dabei ein. Aber eine innere, lehrende Stimme weckte ihn immer wieder auf: „Der Atem ist die erste Wirklichkeit deiner Existenz. Jeder Atemzug ist Hier und Jetzt. Mit dem Ausatmen ist er vorbei und verbraucht. Der Atem kennt kein Gestern und auf den morgigen Atemzug kannst du nicht warten. Mit dem ersten, bewussten Atemzug nimmst du zum ersten Mal, für einen Augenblick, deine eigene Existenz wahr. Du bist ein atmendes Wesen und nimmst dich durch deinen Atem wahr. Also tue, was Buddha dir empfiehlt: Beginne mit dem Bewusstsein des ein- und ausströmenden Atems. Das ist der rich­tige Anfang. Nicht das Wort war zuerst, sondern der Atem. Du kannst kein Wort ohne den Atem sprechen.“

Dem von Sehnsucht Gequälten schien es manchmal zu banal, allzu banal. Es muss doch etwas Kunstvolles sein, das ihn dorthin bringt, zumindest ein artistischer Kopfstand, oder verkehrt herum, für ein paar Stunden täglich an den Beinen an einem Baum aufgehängt, mit dem Kopf nach unten, damit er glocken­haft schwingend die Schwingungen des Lebens erfassen kann. Unser Meister empfahl solche Übungen nicht. Er wollte den Menschen zum Menschen erziehen.

Atme bewusst und schau konzentriert auf einen kleinen Kreis, den du mit einem dunklen Stift auf eine Wand zeichnest!“ Das war eine weitere Anweisung des Meisters.

Gesagt, getan. Er malte den Kreis auf eine weiße Wand, setzte sich und starrte konzentriert darauf. Aber der Kreis blieb während des Übens kein Kreis, sondern verzierte sich kunstvoll zur blumigen Pussy, immer und immer wieder. Die Natur begann an seinem Geist zu nagen. Die Begierde nahm überhand. Aus war es mit der stillen Selbstbetrachtung und andächtigen Nabelschau, vorbei das In-Sich-Hinein-Horchen und suchen nach Indizien seiner selbst. Seine Augen begannen nach weiblichen Rundungen zu suchen, nach einem Gefäß, das sein aufloderndes Feuer löschte und die verzehrende Leidenschaft stillte.

Er eilte zum Meister. Aber dessen Leuchten überstrahlte auch dieses Problem: „Du schaust die Pforte des Paradieses. Die natürlichste Sache dieser Welt. Jeder Mensch ist Bürger zweier Welten, einer natürlichen und einer geistigen. Mach aus dir kein Schlachtfeld, indem du deine Natur bekämpfst. Das ist Unsinn. Es ist klug, deiner Begierde zu entsprechen. Nur dadurch kann sich der tiefe Grund deines Seins offenbaren. Suche einen Geist, der deiner Natur entspricht. Erkenne deine Natur. Die Einsicht hilft dir weiter.

Du erlebst jetzt, dass die Askese nicht dein Weg ist. Askese verhindert deine Lebenserfüllung. Lass das asketische Streben und das Rin­gen um dich selbst. Lerne die Hingabe an dein eigenes Wesen. Geh den Weg deiner Natur und bleibe wach dabei. Das ist der lustvollste Weg zur Schöpfung selbst. Geh unter die Menschen, übe den Müßiggang und schnuppere die Liebe. Müßiggang ist eine aktive Form der Meditation.

Begreife, jeder Liebesakt ist immer auch ein spiritueller Akt. Da treffen sich Natur und Geist. Wenn es gut geht verschmelzen die Beiden. Orgasmus und so. Mit jedem Orgasmus wächst dein Geist. Ein Geist, der mit der Natur geht und nicht aus lauter Neid menschenfeindlich ist.“

Das gefiel Achim. Schnuppern war etwas Unverbindliches. Ohne Verpflichtung. Und da er eine Frau hatte, die finanziell für ihn sorgte, ging er hin, mischte sich unter die Menschen, übte den Müßiggang und schnupperte herum. Ganz eigenartige Düfte nahm er da wahr. Da, plötzlich begannen seine Nasenflügel zu zittern. Sein Haupt erhob sich aufmerksam. Er richtete seinen Blick nach Oben. Aber der erregende Duft kam nicht von dort. Ganz und gar nicht.Er schnupperte und schnupperte, witterte einen ganz eigenartigen Duft, ging diesem nach und hielt unerwartet einen feschen, reifen Frauenleib in den Armen. Er schnupperte zwischen ihren Brüsten, schließlich zwischen ihren Beinen, sah dabei nicht nur die Pforte, die ihn verwirrte und tief zum Atmen brachte, sondern einen Reigen der Huris im Vorgarten des Paradieses. Bald drang sein Liebesbaum tief greifend ins weibliche Gefilde. Damit begann die Entdeckungsreise durch die Defizitlandschaft menschlicher Begierden. Und so lernte er die Liebe.Dabei erfuhr er, dass hinter jeder Begierde eine Weisheit verborgen ist, die durch das Ausleben zur Wirklichkeit wird.

Ganz merkwürdige Dinge geschahen. Immer wenn er eine Frau in den Armen hielt und zu ihr sagte: „Ich liebe dich!“, sagte er es auch zu sich selber. Weil er es laut aussprach und sich beim Sprechen selber hörte, reagierte sein Gefühlsleib, als ob es von jemand anderem, von außen käme. Ein uraltes Gesetz: Alles, was ich sage, sage ich auch zu mir selber. Das ist so. Da spricht das Eltern-Ich zum Kind-Ich und umgekehrt. So wird der andere zum Narren, weil er glaubt, er sei angesprochen. Das ist weiter nicht schlimm, denn dessen Antwort ist wiederum eine Ansprache an sich selber.

Bald sagte unser Finder zu jedem und allem, zu den Menschen, zu den Blu­men, zu den Tieren: „Ich liebe dich!“ Und die Liebe begann ihn zu durchströ­men, bis er von ihr getragen wurde. Das so angesprochene Kind in ihm begann zu jubilieren und zu jauchzen. Das innere Glück strömte durch die Haut nach außen. Die Welt konnte darauf nur mit Liebe reagieren. Bald verschenkte er sich allen und jedem. Euphorisch glaubte er bald, alle Menschen durch seine Liebe von ihren Leiden befreien zu können. Durch seine Arglosigkeit, Unachtsamkeit und Offenheit nahm er dabei viel Unerlöstes in sich auf. Seelischer Müll! Das war nicht gut für ihn. Die Lust wurde zum Frust, Krankheit war die fatale Folge.

Der von Gott gesegnete Meister hatte wieder einige überflüssige Worte dazu: „Wenn du wie ein Bock die Frau bespringst und ihr deinen Samen gibst, dann verschenkst du das Wertvollste, was ein Mann einer Frau geben kann. Du schwächst dich dadurch und gibst dich der weiblichen Willkür preis, fremden Einflüssen auch, die dich erkranken lassen. Diese Erfahrung hast du jetzt gemacht. Du darfst tausend Frauen genießen und tausend Kinder zeugen. Nichts steht dir im Wege. Nur klug ist es nicht. Du gehst den Weg deiner Natur und der Achtsamkeit und erkennst dabei die Abläufe der inneren Phänomene. Das alleinige Beobachten genügt um über sie Macht zu bekommen. Das ist das Wissen, das Buddha meint, wenn er sagt, die größte geistige Behinderung ist das Nicht-Wissen um die inneren Phänomene. Erkenne dich selbst – Selbsterkenntnis, das ist das, was den Menschen zum Menschen macht.

Es geht um die Macht über dich selbst. Du lernst den Orgasmus vom Samenerguss zu trennen. Du kannst täglich mehrere Orgasmen erleben ohne dass du ein einziges Spermchen hergibst. Mit vollem Samenbläschen bist du immer sprungbereit, aber das Wertvollste dabei ist, du bleibst immun gegen den zerstörenden Seelenmüll deiner Partnerinnen. Damit du weiter kommst in deiner Entfaltung, kannst du jetzt, während deiner Genesung bewusst mit deinem Atem gehen. Auch damit lernst du dich Erkennen. Wenn du auf dem Rücken liegst, atme ein und stoße dabei deinen Steiß nach unten in die Unterlage. Dein ganzer Beckenraum füllt sich mit deinem Atem und entspannt dabei den Bauch. Beim Ausatmen stößt du nach oben. Während die Luft entweicht wird der Bauch eingezogen – stell dir einfach vor, beim Ausatmen stößt du deinen Phallus in die Scheide einer Frau und beim Einatmen ziehst du ihn zurück. Sanft, immer mit dem ein- und ausströmenden Atem gleitest du hinein und wieder hinaus. Sei dabei ganz aufmerksam. Diese Atmung ist wesentlich bei der Vereinigung. Das Gleiche gilt auch für die Frau. Beim Ausatmen nimmt sie das Schwert des Mannes in sich auf.

Mach dir dabei die tiefer liegenden Muskeln bewusst und entspanne den Unterleib und alle Muskeln um den Geschlechtsbereich herum. Du lernst bewusst mit diesen Muskeln zu spielen, immer im Fluss deines Atems. Das macht jeder Bodybildner mit seinen Muskeln. Du machst es mit deinem Geschlechtsbereich.

Mit der Zeit kannst du die einzelnen Muskeln voneinander unterscheiden und du bekommst Macht über sie. Du lernst sie bewusst einzusetzen. Das ist das Ziel. Genau wie du den Harndrang zurückhalten kannst, genau so kannst du den Samenerguss zurückbehalten. Muskeln lassen sich willentlich steuern.

Ob Frau oder Mann, der Prozess ist bei beiden der gleiche. Es ist ein Lernen, das vom Bewusstsein geleitet wird. Sobald die sexuelle Erregnung nicht mehr mit dem Ego verbunden ist, werden Frau und Mann vom Raum durchdrungen; sie werden eins mit dem Kosmos. Das große Erschauern.

Vielleicht gibt es noch Fragen zu diesem Thema. Durchaus möglich. Nur habe ich keine Antworten dazu. Es bleibt nichts anderes übrig als den Weg der Selbsterfahrung weiter zu gehen. Genese und suche den Schoss der Erfüllung.“

Der an Leib und Seele gebeutelte Schüler konnte seinen Lehrer überhaupt nicht mehr verstehen. Er redete eine Ebene zu hoch für ihn. Er versuchte, sich auf den Atem auszurichten und siehe, diesmal setzten sich seine Gedanken zur Ruhe. Während der Heilung übte er sich in der Achtsamkeit und im sorgsamen Umgang mit sich selbst. Er spürte wie während seines Fiebers sein Bewusstsein wuchs. Ohne zu denken begriff er plötzlich, was der Meister mit seinen Worten gemeint hatte.

Achtsam jetzt und wählerisch übergab er sich weiterhin der erotischen Lehre mit ihren wandelnden Kräften. Er lernte, wie aus grobem, elementarem Stoff etwas ganz Feines wurde, so fein und so transparent wie der Atem. Die biologische Energie mutierte und wurde mit der Zeit zu einem energetischen Tanz mit immer neuen Ausdrucksmöglichkeiten. Er glaubte sich zwischenzeitlich global verrückt und war froh um jeden weiblichen Schoß, der ihm Halt und Boden gab. Einen Landeplatz für sein Glück, wie er jubilierte.

Zurück bei seinem Meister, fand er die Erklärung: „Das ist der Weg des Helden, der sich bewusst dem Tanz der Sinne hingibt, um Geist und Sinnlichkeit zu vereinen, um geistlich zu werden, Herr und Meister über sich selbst. Ein Tanz mit dem Feuer. Immer ist die Vereinigung das Ziel, die Verschmelzung mit dem anderen Pol zur Einheit, zur Innung von Mann und Weib, dem weiblichen Anteil in dir, und schließlich mit dem, was du Gott nennst. Das ist das höchste Glück, das dir als Mensch widerfahren kann. Aber den letzten Teil des Weges, den Weg zum Gipfel, musst du alleine gehen. Wer Gott findet, findet zugleich sich selber. Also geh! Auf diesem Pfad musst du das Allerletzte loslassen. Loslassen heißt, dich deinem eigenen Wesen, deiner eigenen Wirklichkeit hingeben. Loslassen ist kein Streben und kein Ringen. Es ist das Loslassen der Phänomene des Nichtwissens.“ Und lachend fügte er noch hinzu: „Begegnest du einer Göttin auf halbem Weg, bleib nicht an ihr hängen, sondern lass sie zurück!“

Kopfschüttelnd machte sich Achim auf den Weg. Wie soll ein mutiger Mann an einer Göttin vorbeigehen, ohne sie zu genießen? Das ist die Weisheit der Jugend nicht.

Sie begegnete ihm tatsächlich auf halbem Wege, als einfache Magd und Gattin eines Sherpas, der sich für längere Zeit auf Trekking im Himalaja befand. Banal eigentlich und einfältig, aber von einer Weisheit ohnegleichen. Die Götter geben sich so, selten offen und ehrlich, sondern als Schwan und dergleichen, damit die Auserwählten über die offenbare Gnade nicht allzu sehr erschrecken. Und die Göttinnen dienen gerne als Aschenbrödel und Hutzelweibchen, in Kleidern aus formlosen Lumpen, ihr nächtliches Lager aus Heu und Stroh, seelisch jedoch quellfrisch und lauter. Achims Göttin auf halbem Wege lebte von Kräutern und Gras, von den Ziegen auf der Weide und den Hühnern rund um die verlotterte Hütte. In dieser erbärmlichen Umgebung konnte sie nicht anders als göttlich anmuten, feingliedrig und schlank, hochbrüstig, zäh, mit kräftigen Lenden. Ging es jedoch um ihr wirkliches Metier, dann, oho, wurde sie verzehrendes Feuer, das jede Sünde wegfegte, den Partner mit einbezog und das himmlische Paradies erleben ließ. Sie wurde dabei zum Schmelztiegel und zum subtilen Gefäß der Transformation. Da wurde aus tierischen, grunzenden Tönen edler Gesang.

Im Eifer ihrer Arbeit und beim Spielen mit dem Hund, hatte sie ihre Bluse weggeworfen. Es gab in der Abgeschiedenheit der Berge keinen Grund sich zu verbergen. Verschwenderisch, in ganzer Fülle, lockten die nackten Brüste den einsamen Wanderer zur Einkehr. Staunend, mit offenem Mund glaubte er ein Geistwesen vor sich und wusste nicht, was ihm geschah. Es konnte nicht anderes sein, es ist die Göttin, wie sie von seinem Meister verheißen! Die Begierde raubte ihm alsogleich die Besinnung. Da er anderseits aus des Meisters Munde wusste, dass es klug ist der Begierde zu entsprechen, damit der tiefe Grund des Seins sich offenbaren kann, gab er ihr ohne Widerspruch nach. Wie betrunken schwankte er auf sie zu. Aus seiner Seele erklang reinster Engelgesang. Seine Natur fand sich gesegnet.

Ihr ging es nicht besser. Sie glaubte Gott Shiva, der glückverheissende, tanze leibhaftig vor ihr und berühre sie gleichzeitig innen und außen. Heiß und kalt wurde es ihr. Seit Wochen ohne Gatten, konnte sie dem Lockruf ihres Fleisches nicht widerstehen. Sie spürte nur noch, da kam Gott Shiva selbst, um sie in ihrem tiefsten Sein zu berühren.

Sie musste erfahren: Auch der Seele edler Geist ist machtlos, wenn die Leidenschaft der Natur aufbricht und auf die Stillung der Begierde pocht. Auch eine Göttin mit menschlichem Leib tut gut daran, die Natur maßvoll gewähren zu lassen. Dem Leib geben, was des Leibes ist. Keine Göttin in menschlicher Hülle hat es je bereut. Die Vergnügungen, die daraus sprießen erquicken und lassen die Seele erschauern.

Achim vergaß über den vielen Eindrücken die kosende Weisheit der Liebe. Mit einem Schrei der Lust wurde er zum animalischen Stier. Sie, nicht minder begierig, graziös wie eine behände Gazelle öffnete sich und begann mit ihm gierig zu spielen.

Als die Hühner mit ihrem Gegacker den Morgen begrüßten, lagen die Beiden noch immer im Stroh. Kaum geschlafen und keineswegs satt. Da besann sich die Göttin erschrocken auf ihre Bestimmung. Sie betrachtete den Bettgenossen prüfend, mit umkreisenden Blicken und sagte:

Ein Rohling bist du noch. Zeit, dass du geschliffen wirst. Einer Göttin zu dienen heißt nicht, mit seiner Potenz zu protzen, sondern mit zärtlicher Hingabe und Achtsamkeit das Innerste des weiblichen Wesens zu berühren. Lieben heißt mit dem Sein in Berührung kommen und nicht wie ein geiler Bock die Frau bedecken und sie mit schleimiger Bräu bespritzen. Du warst bei einem guten Meister. Er hat viel für deine Eigenliebe getan. Was jedoch die Liebe zu einer Frau bedeutet, davon bist du noch weit entfernt. Die Praxis unterscheidet sich ganz wesentlich von der Theorie. Die Liebe schnuppern heißt das Lied in der Liebsten erkennen, jener Gesang der Stille, welche das Paar zum Himmel schweben lässt.

Als erstes wirst du jetzt lernen, dein Glied sanft in mich einzuführen, erigiert in mir zu verweilen, regungslos – stille und regungslos. Regungslos, habe ich gesagt. Nicht wie ein Bock den Samen abstoßen. Das würde das Spiel schnell beenden. Meine Ansprüche an den Mann und Geliebten sind ungewöhnlich. Ich erwarte von dir bedingungslose Hingabe. Das ist die Energie der Verschmelzung.

Ganz achtsam bist du in mir. Du nimmst den Rhythmus deines Atems wahr, spürst die sanften, saugenden Bewegungen meiner Quelle. Stell dich ganz darauf ein. Halte die Stosskraft zurück. Bald wirst du bemerken wie meine Energie zu dir hinüber fließt und dich nährt. Ich werde derweil nicht versäumen, deinen Penis zu melken, deine männliche Energie aufzunehmen und mich an ihr zu erlaben und zu stärken. Nur die fließende Energie ist wichtig. Behalte deinen Samen zurück. Du kommst zu deinem Glück, ohne dass du dich verschwendest.“

Die Lehrzeit bei der Göttin auf dem halben Weg nahm viel Zeit in Anspruch. Achim vergaß dabei seinen inneren Auftrag. Bald fand er, dass die Zeit für die letzte Weisheit noch nicht reif sei für ihn. Die zuständigen Götter ließen ihn gewähren. Sie wussten ja, die Liebe zwischen einer Göttin und einem Sterblichen hinterlässt tiefe Spuren. Bei ihr lernt der Mutige das Göttliche in jedem Menschen erkennen, das Ureigene, das Wirkliche, das tief in jedem wirkt. Zart und geduldig berührt, erklingt aus ihrem Leib das Hohe Lied der Liebe und erweckt in ihm das Gleiche, wenn auch in einer anderen Tonart.

Viele Monde diente der Sucher nach der ureigenen Wirkli­chkeit seiner Göttin in allen Belangen. In der Verschmelzung verlor er jeden Zeitbegriff. Er lernte das lange Lieben. Eine Wohltat für seine Unersättlichkeit. Aber das Wichtigste dabei: Er bekam tiefe Einsichten in sein eigenes Wesen. Da er in der liebenden Vereinigung immer gegenwärtig war, die Zeit erlosch und zur Ewigkeit wurde, flossen ihm Vergangenheit und Zukunft entgegen, mit Inhalten, die ihn verunsicherten, ja verrückten, so dass er sich zeitweise nicht mehr selber erkannte. Aber die Göttin nahm ihn liebevoll in ihren Schoss, bis er gestillt und zufrieden an ihrer Seite einschlief. Dann betrachtete sie ihn mütterlich mit beseeltem Lächeln, stand auf und verrichtete alle jene Dinge in Haushalt und Stall, die ein Mensch, um zu überleben, zu verrichten hat. Er merkte nichts davon. Sie war immer da, eben göttlich, wenn er seinen Gottesdienst in Liebe erfüllen wollte.

Eines Tages jedoch war die Zeit des Verweilens bei der Göttin abgelaufen. Sie hörte drei schrille Pfiffe, die sie aufhorchen ließ. Ihr Gatte hatte sich angemeldet. In einigen Stunden wird er zurück sein. Das ist so üblich in diesem Lande. Er wollte damit erreichen, dass die Getreue sich auf das Wiedersehen einstellen konnte, die Hütte sauber machen, das Lager mit frischem Stroh versehen und dem Ersatzgatten genügend Zeit geben, um zu verschwinden.

 Mühsam stieg er den steilen Pfad zum Gipfel. Je höher hinauf, desto tiefer kam er mit dem Urwesentlichen in Kontakt. Weil er noch immer ein starkes Ego besaß, gab er allem eine individuelle Note. Er konnte das Allgemeingültige gut mit seinem Wesen in Einklang bringen, denn auch sein Wesen war allgemein gültig. Da gab es keine Differenzen. Er blieb in seiner Freiheit und konnte dazu stets ja oder nein sagen. Er wollte die letztmögliche Verschmelzung mit der endgültigen Wirklichkeit und das konnte nur durch seine höchst persönliche Einsicht geschehen. Das tat er mit der Intelligenz eines Spürhundes, mit dem Leittier in seiner Natur.

Eines Tages dann endlich saß er auf dem Gipfel, in tiefer Selbstzent­ration, vernabelt mit dem All-Eins. Alles war eins, er – Mensch, Erde und Kos­mos. Er war Schwingung und Einklang. Bis zu seinem Ende hätte er so bleiben mögen, äußerlich zum Stein erstarrt, im ewigen Kreislauf mit der Unendlichkeit des Kosmos, wozu auch er, mit der Erde zusammen, mitsamt dem Stein, worauf er saß, gehörte.

Aber da sagte das Wesentliche in ihm: „Du bist nun frei und du bist wirk­lich geworden. Da sitzt du nun ureigen auf einem Stein und tust nichts, aber auch gar nichts, schaukelst losgelassen im großen Rhythmus und bist über von Wonne und Wohlgefühl. Wie lange gedenkst du in dieser Hingabe an die Wirk­lichkeit zu dösen und zu frohlocken, dass du ein Auserwählter bist? Du hast tiefe Erfahrungen gemacht und es wird langsam Zeit, dass du unter die Menschen gehst und dich bezeugst. Du bist zu einem Licht in der Finsternis geworden. Los, mach dich auf den Weg!“

Er blieb noch lange sitzen. Der Abstieg schien ihm beschwerlich. Und er fragte sich, ob es sich lohnt aus seiner Freiheit wieder unter die Menschen zu gehen. Aber das, was in ihm wach wurde, eine unerbittliche Stimme, ein neues Gewissen, das von ihm forderte, wesensgemäß zu handeln, nämlich als Mensch unter Menschen. Und diese Stimme ließ nicht locker, bis er sich erhob, bedäch­tig ins Tal hinunter zu den Menschen stieg und begann, was er nicht unterlassen durfte: als Botschafter der Freiheit unter ihnen zu wirken.

Noch einmal begehrte er auf. Was ist denn Freiheit, wenn ich tun muss, was zu tun ist? Und die Antwort war nochmals klar: „Freiheit ist, das zu tun, was dir von der ureigenen Wirklichkeit auferlegt ist. Es tun zu dürfen, darin liegt das unermessliche Glück.“ Ein Leuchten, ein Strahlen aus seinem Wesenskern gab ihm zu erkennen, dass dies die Wahrheit ist.

Nach einer langen Reise kam er nach Hause und sie öffnete ihm die Tür. Sie schaute ihn groß an und er schaute sie groß an. Sie sagte schlicht: „Schön, dass du wieder da bist!“ Er sah eine offene und liebende Frau vor sich stehen.

Es war wie früher, nichts hatte sich verändert. In seinem Atelier lag alles an seiner Stelle, so wie er es hinterlassen hatte. Das damals begonnene Bild stand noch auf der Staffelei. Die Farben vertrocknet auf der Palette, selbständig zu einem modernen, bizarren Kunstwerk erstarrt. Die Pinsel, damals ungereinigt stehen gelassen, wie stilisierte Blumen, farbige Zeugnisse einer inzwischen verwelkten Kunstwelt.

Er spürte, er war willkommen.

Sie bewirtete ihn freundlich. Im Laufe des Gesprächs eröffnete sie ihm: „Damals zum Abschied hast du mir noch einen Sohn geschenkt. Er ist jetzt sie­ben Jahre alt.“

Er erschrak. Nicht wegen des Sohnes, sondern wegen der Zeit, die er für seinen spirituellen Müßiggang, scheinbar rücksichtslos, brauchte. So lange war er abwesend und auf der Suche gewesen.

Ich musste zurück in meinen Beruf und meine Arbeit als Lehrerin wieder aufnehmen. Du hast beinahe mein ganzes Kapital aufge­braucht. Lange hätte ich dich nicht mehr finanzieren können.“

Er erschrak nochmals. Da hatte er tatsächlich all die Jahre von ihrem Kapi­tal gezehrt, gewissenlos, egoistisch. Und jetzt? Er schwieg und sie schaute ihn mit sanften, wissenden Augen an. Wie von selbst begann er zu reden:

Das Ureigene ist das, was allen gleichermaßen eigen ist. Das Nichtwissen hat mich zum Sucher gemacht und mich fortgetrieben. Das Wissen führte mich zurück. Das größte Hindernis auf meinem Weg war ich mir selber. Ich war in meinem Säuglingshunger hängen geblieben. Um zu bekommen, musste ich lernen zu geben. Ich liebe dich heißt, ich liebe mich. Weder Sympathie noch Antipathie sind Maßstäbe. Jetzt sehe ich das Wesentliche im Menschen, das, was den Menschen zum Menschen macht, das in jedem vorhanden ist, manchmal verborgen, verquetscht oder verleugnet. Das ist über alles gleichsam liebenswert, ohne Unterschied. Ich sehe und höre die Seelen, die um Freiheit schreien. Ihnen will ich, verstehend, meine nährende Hand reichen. Vom Glauben zum Wissen. Siehe, das ist mein Weg, das ist meine Kunst. Wer Künstaler werden will, muss eine Botschaft in sich tragen und muss dazu das nötige Handwerk erlernen: der Sänger das Singen, der Maler das Malen, der Tänzer das Tanzen. Immer, allem voran jedoch steht die Botschaft, die über ein Medium zum Mitmenschen gelangt. Meine Botschaft ist jene des Lebens und der Freiheit. Wer nach dem Sinn des Lebens fragt, hat den Sinn seines Lebens verpasst, der braucht noch einen Vater, der ihm seine Warumfragen beantwortet. Ich habe keine Fragen mehr. Ich habe mich gefunden und bin dadurch zum Beispiel geworden.“

Es brauchte keine weiteren Worte. Sie verstand ihn und fühlte sich glück­lich. Sie hatte ihr Kapital gut angelegt.

 

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