Das Leben feiern

Dort wo sich das Leben erfüllt herrscht Freude. Lebensfreude.

Ich werde oft gefragt, weshalb ich in meinem hohen Alter, (Jahrg.1929) trotz der überstandenen Kinderlähmung in den Jugendjahren und trotz den Spätfolgen, dem Post-Polio-Syndrom (PPS), so jung wirke, gut aussehe und vital sei. Meine Antwort war und ist stets die gleiche: Dank meinem Bewusstsein und weil ich das Sein in der erotischen Liebe lebe. Ich bin zeitlos und spüre kein Alter.

Mit 27 Jahren erlebte ich eine Seins-Erfahrung, auch transpersonale Erfahrung genannt, die mich in Kontakt mit dem höheren Bewusstsein brachte. Eine Erlösung aus meiner inneren Not, Verzweiflung und Sinnlosigkeit. Es war meine zweite Geburt, mit einer Bestimmung, die mich prägte. Ein ästhetisches Phänomen, das mich zum Künstler, Maler, Schriftsteller und Erzieher machte.

Schönheit ist der Sinn der Welt! Für die christlichen Mystiker des Mittelalters war die Schönheit ein direkter Ausguss des heiligen Geistes. Die so gemeinte Schönheit wurde zum Leitgedanken meines Wirkens. Erlebte Schönheit, gelebte Schönheit. „Der Mensch bleibt jung, solange er sich für das Schöne begeistern kann.“ (Jean Paul). „Alle Wahrheit ist Schönheit!“ (Bettina von A.) Es liessen sich noch viele Zitate zitieren.

Die Kunst, vor allem die malende Kunst bietet die Möglichkeit unmittelbar mit dem eigenen Selbst in Kontakt zu kommen. Ich wurde zum Kunsttherapeuten, um Menschen in der Suche nach sich selbst zu begleiten. In der Maltherapie fand der Suchende verhältnismässig rasch Zugang zu seinem Selbst. Da öffnete sich ihm eine Quelle der Lebensfreude – Feierstunden des Lebens! Meist war damit auch ein Erkennen der eigenen, inneren Schönheit möglich. Augenblicke der Schönheit, des Seins und der Lebensfreude. Die Freizeit malend in der Natur verbringen ist glückliches Tun. Es müssen dabei keine Kunstwerke entstehen – es sind Feierstunden.

Ich machte stets darauf aufmerksam, dass die Ästhetik frei von jeglicher kirchlich gefärbten Moral ist. Oft sagte ich: „In der Schönheit hat Moral nichts zu suchen. Ästhetik hat seine eigenen Gesetze.“ Dabei erwähnte ich auch, dass in der Schöpfung eine universelle Energie wirkt, die jedem Menschen gleichermassen zur Verfügung steht, wenn er dafür offen ist. Für ein volles Leben ist es sehr wichtig mit dieser Energie in Kontakt zu kommen. Dazu braucht es keine Kirchen, Sekten und Moral-Apostel. Falsche Moral zerstört den direkten Zugang, somit auch zum eigenen schöpferischen Selbst.

Gut die Hälfte meiner Schüler kamen zu mir, weil ihre Sexualität infolge der kirchlichen Moral gestört war. Dabei bietet die liebevolle Erotik, während des Austausches von körperlichen Zärtlichkeiten mit einem vertrauten Partner, die Möglichkeit mit dem Sein in Kontakt zu kommen. Feierstunden!

Echte Liebe empfindet den Geist auch im Leib, in der sinnlichen Schönheit. Bettina von A.

Immer machte ich auch Hinweise auf die Schönheiten in der Natur. „Jeder, der sich die Fähigkeit erhält, das Schöne zu erkennen, wird nie alt werden.“ (Franz Kafka). Auch dies ein Jungbrunnen.

Der Kontakt mit dem höheren Bewusstsein war für mich eine Befreiung von Schuld und Sühne, heilte meine Gespaltenheit und führte mich in die Einheit von Natur und Geist, in die Einheit von Körper, Seele/Geist und Bewusstsein, ohne irgend einem religiösen Kult/Wahn zu verfallen. Vielmehr wurde meine humanistische Weltsicht gestärkt. Zudem kam ich in Kontakt mit der universell schöpferischen Energie, mit der ich seither jederzeit meditierend in Kontakt treten und mich erneuern kann. Für mich ein Gesundheits- und Jungbrunnen – Feierstunden des Seins!

Trotzdem holten mich die Kinderlähmungsspätfolgen ein.
Das Post-Polio Syndrom
Die Nerven dienen dem Informationsaustausch im Organismus. Die nach der Kinderlähmung noch erhaltenen Nerven, mussten auch die Arbeit der abgestorbenen übernehmen und erschöpften sich durch die Mehrbelastung im Laufe von Jahrzehnten. Dadurch können die Informationen den Bestimmungsort nur noch verzögert erreichen, wodurch Störungen auftreten, wie sie im Krankheitsbild geschildert werden.

Die Spätfolgen forderten eine Anpassung an die Minderbelastbarkeit – eine enorme Reduzierung meiner Möglichkeiten. Mein Tun im Alltag verlangsamte sich. Meditation und Kontaktnahme mit der universell schöpferischen Kraft bestimmten den Tagesablauf mehr und mehr. Dieser Jungbrunnen nährt mich heute noch und schenkt mir die Energie für alles Schöne, obwohl mein Körper zu keinen grossen Leistungen mehr tauglich ist. Nach wie vor bin ich frei von Medikamenten. Meditation, Schreiben und die zärtliche Liebe zu meiner Frau sind mein Zeitvertreib – so leben, als ob jeder Tag der letzte wäre, innerlich aufgeräumt und voller Dankbarkeit. Das Leben bis zum letzten Atemzug feiern! Richtig gelebt, ist das Leben voller Freuden.

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