Depression
Meine Depression gehörte zu jener Form, die sich somatisch bemerkbar macht, mit kör-perlichen Schmerzen. Sie versteckte sich hinter Symp-tomen, die medizinisch nicht erklärbar sind. Menschen, die unter dieser Depression leiden, fällt es schwer den seelischen Schmerz zu zeigen. Für mich war der Schmerz als Kind derart gross, dass es für mich nur den Weg in eine Scheinwelt gab. Ich konnte aus dem Körper aussteigen, quasi in ein Über-Ich, mich dabei selber sehen, und mir zuschauen. Es war jeweils eine geistige Erlösung, die mich die Schmerzen nicht mehr spüren liess. Stets hatte ich das Gefühl nicht willkommen zu sein. Der Vater wies mich beständig aus der Stube. Er wollte seine Ruhe haben. Ich war immer und immer der Sündenbock der Familie und wurde viel geschlagen. Ich bemühte mich stets lieb zu sein und wurde pflegeleicht. Für die Mutter wurde ich zum Manipulationsobjekt für ihren Vaterhass. Oft spürte ich eine Neigung mich selbst zu töten. Todesmutig ging ich waghalsig hohe Risiken ein. Von Angst keinen Hauch. Ich provozierte den Tod. Ich war der Mutter unerwünscht. Sie hatte mir schon vor der Geburt den Tod gewünscht. Stirb! Verreck! Ein Befehl, der sich tief im Unterbewussten eingenistet hatte. Ich kam trotzdem und lebte trotzdem. Es gab für mich kein spontanes Leben. Ich musste alles trotzdem tun. Ich wollte um jeden Preis zur Geltung kommen – etwas werden – etwas sein, das mir Anerkennung brachte. Vergebliches Bemühen. Jedes Bemühen war vergeblich. Ich blieb unwillkommen. Die Psychiatrie schubladisierte mich später als geltungssüchtigen Psychopathen, der für die Gesellschaft gefährlich werden könnte. Der einfachste Weg, um einen Unerwünschten los zu werden. Es schien hoffnungslos, dass sich je an meinem Leben etwas ändern könnte. Mein Innerstes lehnte sich auf. Mein Trotz gegen den Bockmist meiner Erziehung mit der mir aufgehalsten Fremdbestimmung verstärkte sich und provozierte das Schicksal. Ich gab nicht auf.
Der Ursprung einer Depression liegt in der Regel soweit zurück, dass sie der intellektuellen Einsicht verschlossen bleibt. Dass ich heute über die Hintergründe dieser Depression schreiben kann, verdanke ich meiner Seinserfahrung, einer Erleuchtung, im Jahre 1956. Sie erlöste mich aus meiner emotionalen Not, aus Angst und Verzweiflung, Einsamkeit und Leid. Sie brachte mir tiefe Einsichten. Das Leben wurde für mich zu einem Spielfeld.
Ich erfuhr die Seinserfahrung als ein Geschenk Gottes, denn ich erlebte dabei Gefühle der Gnade und Glückseligkeit. Ich kam in einen Seinszustand, der besagte, dass ich ein von Gott gewollter Mensch bin. Ich bin von Gott gewollt! Das schenkte mir einen Rückhalt und eine Selbstsicherheit, die mein erneuertes Leben fortan bestimmte. Mein Begriff von Gott ist an keine Kirche, an keine Religion gebunden. Für mich ist Gott jene universelle schöpferische Energie, die allen Menschen gleichermassen frei zur Verfügung steht. Reines Bewusstsein. Wenn ich jedoch die frühkindlichen Emotionen erreichen will, welche die Depression auslösten, habe ich keine andere Möglichkeit, als von Gott zu sprechen. Alles hatte sich in das Glaubenssystem eingenistet, nicht nur das, was mir über Gott und Religion beigebracht wurde, sondern auch meine ersten Lebens-Erfahrungen und meine kindlichen Entscheidungen darauf. Gott wurde von meinen Erziehern, inklusive Pfarrer und Lehrern missbraucht, für einfältige Drohungen und Angstmacherei, die mich in meiner Entwicklung behinderten.
Durch den Prozess der Seinserfahrung bin ich zum Humanisten geworden und mein Tätigkeitsfeld fand ich in der Kunst und als Lehrer in der Kunsttherapie, stets auf einer neutralen, humanistischen Ebene. Der Grund dafür ist einfach: Jeder Mensch muss sich selber finden und das werden, was er wirklich ist. Ich kann ihn nur begleiten, den Weg weisen und ihm Impulse geben. Dabei standen für mich Gesundheit und Lebensfreude im Vordergrund. Ein Mensch muss an seinem Leben Freude haben.
Eines Morgens, nach der Seinserfahrung, erwachte ich in einem Zustand des Heil-Seins, der völligen Gesundheit von Körper, Seele und Geist. Dieses Heilsein war jedoch mit einer Strahlung verbunden, die im Mittelalter wohl als Heiligenschein bezeichnet wurde. Ich selber fühlte mich dabei ganz einfach heil – gesund. Mit dieser Strahlung unter die Menschen zu gehen war mehr als schockierend. Dabei erfuhr ich ein massives Unerwünschtsein, sogar Feindlichkeiten. Hatte ich früher aus einer emotionalen Prägung heraus das Gefühl von der Welt abgelehnt zu werden, war es so, dass ich jetzt auf Grund meiner Strahlung von einem Grossteil der realen Welt offen abgelehnt wurde. Mir wurde dabei klar: Ich musste die seit mehr als drei Jahre gepflegte Askese sofort abbrechen und meine Energie über den Sex ausleben. Da mir keine passende Frau zur Verfügung stand, reiste ich nach Paris und trieb mich etwas in der (Kunst-)Szene herum. Es wirkte.
Mein Aussehen veränderte sich innerhalb weniger Wochen und entsprach mehr und mehr meinem inneren Wesen. Ein diskretes positives Strahlen, ohne mystische Anmutung. „Schönheit ist der direkte Ausdruck Gottes.“ (Eine Behauptung mittelalterlicher Mystiker). Ab jetzt hörte ich immer wieder das Wort Beau (Schönling). Ich empfand es als Hohn. Auf Frauen hatte es jedoch eine erotische Wirkung. Männer wünschten mich oft zum Teufel.
Schwerpunkt meiner Depression war das Unerwünscht-Sein. Ich konnte hinkommen wo ich wollte, ich fühlte mich unerwünscht. Also schaffte ich mir eine Position, in der ich gebraucht wurde – in der man auf mich angewiesen war. Leider fehlte mir die Bildung und ich konnte die Ansprüche, die ich vorgab, nicht erfüllen. Erst nach der Seinserfahrung konnte ich mich verwirklichen.
Mein jugendliches Bemühen bei Frauen anzukommen missglückten. Ich wusste nicht, was Liebe ist. Ich habe während meiner ganzen Kindheit keine Liebe erfahren. Meine erste Freundschaft scheiterte. Sie war eine liebevolle Tochter, aber ich konnte nicht auf ihre Liebe reagieren. Ich spürte nur einen starken sexuellen Drang. Ihre Gefühle machten mir Angst. Ich floh. So blieb es. Ich war unfähig auf eine normale Frau einzugehen. Ich war auf den Sex reduziert. So musste ich mich auf Huren ausrichten die ihr Organ zur Verfügung stellten – in der Regel unerwünschte Frauen, die ihr Erwünschtsein über einen Schwanz in ihrer Möse besorgen. Ich wurde auch fündig, eine naives, zu Diebereien neigendes Flippchen, das mich für einige Jahre mehr schlecht als recht bediente.
Nach der Seinserfahrung jedoch veränderte meine Strahlung die Ausgangslage. Frauen kamen auf mich zu. Jedes sexuelle Erwünscht-Sein einer Frau genoss ich. Ich schaffte eine Position in der ich von unzähligen Frauen erwünscht wurde. Sie offerierten mir nur allzu gerne ihr Intimstes. Ich genoss dieses Erwünschtsein mit jeder Faser meiner Seele. Nur mit wenigen kam es jedoch zum sexuellen Austausch. Ich war kein Allesfresser. Meist blieb es bei wenigen Akten. Das, was mir geboten wurde, genügte mir nicht und zum Sexlehrer hatte ich kein Talent. Es gab deswegen nie böses Blut. Ich habe mein Sexleben zu einer tantrischen Kunst gemacht.
Auch das ging vorüber. Eine junge Frau aus gehobenem Kreise gab mir, was mir sonst keine geben konnte. Sie schenkte mir bis anhin nie Erlebtes. Ein Erleben, das mir mit jeder Faser sagte, dass ich ihr erwünscht bin. Gemeinsam erlebten wir wie aus gutem Sex Liebe und Dankbarkeit wurden. Bald erlebten wir durch unsere liebevolle Erotik Seinserfahrungen. Sie ist heute noch meine Frau, nach mehr als fünfzig Jahren.
Die Wut auf das Unerwünschtsein begleitete mich bis in die Gegenwart. Die Wurzeln sitzen tief. Eine vorgeburtliche Prägung. Bei jedem Hauch von Ablehnung oder Unerwünschtsein reagierte ich meist mit Ausfällen. Ich bin beruflich und finanziell unabhängig, so dass ich solchen Situationen jederzeit den Rücken zuwenden konnte und kann. „Ich brauche euch nicht!“
Das tat ich leider etwas zu oft, nicht immer zu meinem Vorteil. Aber ich genügte mir selbst. Ich bin selbstgenügsam! All das, was geliebte Menschen mit in die Wiege mitbekommen, bekam ich durch meine Seinserfahrung. Der Mangel an Bildung musste ich jedoch unter schweren Umständen erarbeiten. Nach der Seinserfahrung begann ein neues Leben – mit einem Startkapital von fünf Schweizerfranken.
Wenn jemand von mir eine Spende wollte, reagierte ich mit einem konsequenten Nein. Ich habe während meiner Kindheits- und Jugendjahren derart unermesslich gelitten, dass ich für anderes Leid nicht ansprechbar war. Niemand hat mir geholfen, im Gegenteil. Ich wurde von Gott und den Mitmenschen jämmerlich im Stich gelassen. Ich musste mich selber befreien. Also …
„Ich bin Gott gewollt.“ Daraus wurde eine Meditation, die jedem Unerwünschten ein Eigenwertgefühl geben kann. Dieser Gott ist schöpferische Energie, die jedem frei zur Verfügung steht. Der Mensch muss sich nur auf sie ausrichten und sich dafür öffnen. Das Ziel ist, dass jeder sich selber wird. Durch das Wirken aus diesem Geiste, wird jeder zum freien Partner der Schöpfung. Ohne Kirche, ohne Sekte, als freier Geist.
Diese Depression verbarg sich, wie bereits geschrieben, hinter Symptomen. Bei mir zeigte sie sich, oft sehr schmerzhaft, mit Nesselfieber, Hautausschlägen, Gastritis, Magenschleimhautentzündung, Schwindel, Gleichgewichtsstörungen, Gehörsturz, Ohrensausen, Bronchitis, Schlafstörungen, ab und zu auch mit Weichteilschmerzen. Ich konnte den Schmerzen entgehen, indem ich in die geistige Sphäre umstieg. Für die Heilung musste ich allerdings durch die Schmerzen hindurch. Dabei half mir der richtige Atem und die Universelle Schöpferische Energie sehr wirkungsvoll – frei nach einer Methode des Japaners Nobuo Shioya.
Und dann immer wieder das Aufkeimen des Dranges, mich selber zu zerstören, ja, zu töten – und das Aufbäumen der Lebensenergie, es nicht zu tun. Dann das Erkennen des Hintergrundes: Das sich selber töten hätte ganz dem Wunsch meiner Mutter entsprochen, die mich nicht wollte, ein vorgeburtliches „Verreck, ich will dich nicht!“ Der ganze Hass und ihre Wut, an dem Tage als sie entdeckte, dass sie mit mir schwanger war. Der Hass und die Wut auf meinen Erzeuger auch, der sie zum lieblosen Sex zwang. Ein Hinhalten dem Frieden zu liebe, wie sie es oft betonte. Aber auch eine Wut auf ihr triebhaftes Organ, das sie von einem Manne abhängig machte.
Ehre Vater und Mutter, heisst es im Alten Testament. Wie soll das in solchen Fällen gehen? Wenn alle Mütter ihre Kinder wirklich liebend empfangen würden, wäre unsere Welt um einiges besser.