Die Suche nach Glück

collageJeder Mensch kennt glückhafte Gefühle, die ihn beflügeln und jeder kennt auch den Frust, welcher eintritt, wenn seine Bedürfnisse nicht gestillt und Erwartungen nicht erfüllt werden.

Der Dalai Lama, der in der Gegenwart lebende, sehr aktive Menschheitslehrer aus dem buddhistischen Kulturkreis, der wohl sehr vielen bekannt ist, sagt: „Aus meiner Sicht fängt alles mit einem Ich-Gefühl an, einem Ich, das nach Glück verlangt. Ich möchte frei sein von Leiden, und mir wird die Erfahrung des gesuchten Glücks zuteil, die Befreiung aus dem Leiden. Sowohl das Glück, das ich erstrebe, als auch das Leiden, aus dem ich befreit sein will, sind Ergebnisse von etwas anderem. Wenn man das erkannt hat, dann sucht man nach den Ursachen, die zu diesen Ergebnissen geführt haben.“

Leider schweigt sich der Dalai Lama aus, was die Ursachen für Glück und Unglück ausmachen und spricht weiter von Tugenden und Laster. Jede Tugendlehre geht von einem nichttätigen, ruhenden Geist aus, der seinen Frieden und seine Harmonie bewahren will. Jeder Umstand, welcher das Gleichgewicht des Geistes stört wird als Mangel, Beschwernis oder gar Sünde gebrandmarkt oder als Laster bezeichnet. Zu den schwersten geistigen Belastungen gehören das Anhaften, Neid und Hass. Der elementarste Mangel jedoch ist das Nicht-Wissen, das sich an die Existenz der inneren Phänomene festhält. Gemeint sind damit wohl die unbewussten Prägungen und emotionalen Zwänge – Gefühlsmuster, die in der ersten Phase des Lebens gebildet wurden, Faktoren aus Erziehung und Vererbungen, die den Menschen vom eigenen Wesen entfremden, und in der westlichen Welt in Psychotherapien aufgearbeitet werden können. Anhaften heisst, mit einem Gefühl, mit einer Emotion, die auch fremd sein kann, identisch werden, wobei die persönliche Macht darüber verloren geht und, oft zwanghaft, ausgelebt werden muss. Das unbewusste Mitleiden ist eine Quelle dafür – da können fremde Gefühle als die eigenen ausgelebt werden.

Die katholische Lehre spricht sogar von der grundsätzlichen Verderbtheit der menschlichen Natur. Der Mensch ist von seiner Natur aus böse und muss zum Guten erzogen werden. Wie können da glückhafte Gefühle entstehen, wenn der von Menschen erfundene göttliche Geist stets gegen die menschliche Natur ankämpft und umgekehrt die Natur auf ihre Befriedigung drängt und sich gegen den anerzogenen Geist auflehnt?

Solche Einstellungen und Glaubenssätze helfen wenig zu einem zufriedenen Leben. Sie behindern das Glück. Jede Unterdrückung der Natur führt ins Leiden. Die Natur will nicht unterdrückt, sondern liebevoll geführt und genährt werden! Auch zwischen Geist und Natur kann es ein liebendes, kreatives Miteinander geben.

Gefühle entstehen unter anderem im Dialog zwischen dem Drang nach glückhafter Triebbefriedigung und dem Über-Ich, auch Eltern-Ich genannt, das aus den Einschränkungen der Erziehung stammt und durchaus einem autoritären sozialen Umfeld entsprechen kann, das mit strikten Geboten und Verboten das Streben nach Selbsterfüllung zügelt. Erlaubt das Über-Ich die Triebbefriedigung entstehen Freude und Glück. Reagiert es mit einem Verbot, entsteht zuerst eine Wut, welche den behindernden Umstand beheben will. Gelingt dies nicht, wird aus dem Gefühl eine Emotion und staut sich im „Gedächtnisspeicher“ – dem Zellgedächtnis und bildet den Rahmen für zukünftige Reaktionen auf ähnliche Ereignisse. Gelingt die Befreiung aus der Unterdrückung nicht, entstehen Ersatzgefühle. Wut mit Hass gepaart, Leiden, welche die Organe in Mitleidenschaft ziehen – schliesslich Resignation, Trotz, Rache, Krankheit.

Der Drang nach glückhafter Triebbefriedigung darf nicht auf die Sexualität beschränkt werden. Der Selbsterhaltungstrieb ist weitaus stärker. Der Drang nach Schönheit und Selbstausdruck, nach Erkenntnis und schöpferisch geistiger Tätigkeit ist im natürlichen Menschen ebenso angelegt und pocht auf Erfüllung. Der Ur-Instinkt mit seiner Intelligenz ist immer noch ein sicherer Wegweiser durch die Wirrnisse des Lebens, insofern das Selbstvertrauen nicht geschädigt ist. Die menschliche Natur ist intelligenter als üblicherweise angenommen wird.

Die Anthropologie beschreibt den Menschen als Bürger zweier Welten, einer kulturellen und einer natürlichen Welt. Zum einen ist er ein Natur-, zum anderen ein Kultur- und Geistwesen. „Er ist biologisch darauf angelegt, in eine (kulturelle) Tradition einzutreten, deren Inhalte ihrerseits durch die biologische Natur des Menschen nicht fixiert sind” (von Weizsäcker). Weiter: Er ist biologisch darauf angelegt sich Kultur anzueignen; welche Kultur er sich aneignet, hängt davon ab, von wem er sie empfängt. Die Entwicklung seiner Kultur beginnt schon in frühester Kindheit in der Auseinandersetzung mit dem sozialen, zwischenmenschlichen Umfeld. Es steht ausser Frage, dass sogar der Bewusstseins- und Gemütszustand einer werdenden Mutter einen grossen Einfluss auf das Ungeborene ausübt.

Die Anthropologie differenziert sich ganz wesentlich von der christlichen Überlieferung, die besagt: „Der Mensch ist zweifachen Ursprungs, er ist himmlischen und irdischen, natürlichen und übernatürlichen Ursprungs“. Am irdischen Ursprung wird sicherlich niemand zweifeln – aber am himmlischen? Da wird von einer Wirklichkeit gesprochen, die für das weltliche Denken nicht fassbar ist.

Der Glaube ist eine religiöse Überzeugung, die von der Liebe zu Gott beseelt ist. Er kann nicht wissenschaftlich bewiesen werden. Was er glaubt, beruht auf einer Sicherheit, die aus der Liebesbeziehung zu Gott kommt. Das schliesst nicht aus, dass auch intellektuelle Gedankengänge zu einer Überzeugung führen können. Die Fähigkeit zu glauben ist der menschlichen Natur biologisch gegeben. Was ein Mensch schliesslich glaubt hängt wiederum von jenem kulturellen Umfeld ab, in das er hinein geboren wird. Dafür zeugen die verschiedenen Glaubensrichtungen rund um die Erde. Das ist ohne weitere Erklärungen einsichtbar. Das Kulturschaffende, also auch das Spirituelle, gedeiht aus der gegebenen menschlichen Natur heraus. Es braucht keinen esoterischen Hokuspokus, der einen Auserwählten heimsucht und beglückt.

Wenn man annimmt, dass das von der Schöpfung gegebene Grundgefühl Lebensfreude ist, dann wird deutlich, wie weit sich der Mensch von seiner Wirklichkeit entfernt hat. Die Gefühlsmuster, die gewöhnlich für das ganze Leben halten, werden in der ersten Phase des Lebens gebildet. Das Kind reagiert auf die Wünsche der Eltern, damit es überleben kann. Es lernt das, was ihm geboten wird. Der amerikanische Emotionalexperte Daniel Goleman geht davon aus, dass bei der Bildung von Gefühlen der Instinkt wichtig ist. Das Instinktverhalten ist angeboren und wird durch spezifische Schlüsselreize über einen angeborenen Auslösemechanismus (Mandelkern) ausgelöst. Er kann durch Erfahrung (Bildung) modifiziert werden.

Daniel Goleman geht in seinem Buch “Emotionale Intelligenz” (Carl Hanser Verlag, 1995), ausführlich auf das Instinktverhalten des Menschen ein. Mit der emotionalen Intelligenz ist nichts anderes als der naturgegebene Instinkt gemeint, der das Überleben und die Arterhaltung des Menschen absichert. Er ist die Quelle der Kreativität. Je enger der Lebensraum begrenzt ist, desto höher seine Erfindungsgabe, desto kreativer wird er. Findet er, etwa in Gefangenschaft, keinen materiellen Lebensraum, wächst er in eine fantasievolle Welt hinein, in Utopien, in eine spirituelle Welt, wie wir sie auch in Religionen erkennen können. Die Israeliten haben in der Gefangenschaft ihren Gott gefunden – einen unsichtbaren Vater-Gott, der in die Freiheit führt, in ein Reich, das die Freiheit verspricht. Wenn der Körper mit seinen Begierden lange genug asketisch unterdrückt wird, kann eine fantasievolle Welt, eine Utopie entstehen, welche die verdrängten und ungestillten Bedürfnisse befriedet oder in einem Paradies ansiedelt. Da können aus Huren und Freudenmädchen Huris und Engel werden. Selbstmordattentäter der Moderne sind geistig motiviert. Der Paradiesgarten sei für sie bereits geschmückt und die Huris riefen nach ihnen. Für sie wartet ein Wohlleben in Behaglichkeit. Da kann ein armselig Gläubiger sich ja jauchzend in die Luft jagen und einige Ungläubige mit sich reissen.

Leo Kofler, (1907 – 1995, zuletzt Prof. an der Ruhr-Universität Bochum) schreibt: „Aus der anthropologischen Perspektive betrachtet, lassen sich die in jeder echten Utopie grundsätzlich zur Wirkung gelangenden und sie wesentlich mitformenden Faktoren, wie das Triebhafte, das nach glückhafter Befriedigung drängt und die Fantasie, die einen unerschöpflichen Born für die Fata Morgana, der Wünsche und Erfindungen darstellt, nicht übersehen.“

Mit anderen Worten: „Das Triebhafte, das nach glückhafter Befriedigung drängt, und die Fantasie, die einen unerschöpflichen Born für die Fata Morgana der angenehmen Erinnerungen, Wünsche und Erfindungen darstellt …“ ergeben in ihrem Zusammenwirken das, was schliesslich den Drang nach Selbstverwirklichung ausmacht. Daraus entspringt der Wunsch nach einer Welt, welche die glückhafte Erfüllung bringt. In der Idee, in der Utopie gedeiht dann das, worin der Mensch glaubt, das zu finden, was ihn glücklich macht. Also gilt es, die Utopie zu verwirklichen.

Mit anderen Worten: Es gilt die Träume in die Realität umsetzen. Ab und zu sind es kleine Träume wie zum Beispiel Auswandern in ein Land, in dem Milch und Honig fliesst, in dem es immer warm ist, wo mit wenig Geld ein höherer Lebensstandard möglich ist. Schon die Israeliten träumten diesen Traum. Ihr Gott Jahwe versprach ihnen ein gelobtes Land und führte sie, durch Moses, unter Strapazen aus der Gefangenschaft in Ägypten durch die Wüste, bis sie nach qualvoller Wanderung das gelobte Land Kanaan betreten durften. Und was blühte ihnen dort? Feindschaft und schliesslich auch noch eine siebzig jährige Gefangenschaft in Babylon. Jehovas erwähltes Volk ist bis zum heutigen Tag nicht zur Ruhe gekommen und ringt immer noch um die Erfüllung ihrer Utopie, und muss mit Maschinenpistolen und schweren Geschützen ihr gelobtes Land verteidigen.

Es ist das schöpferische Prinzip, welchen den Menschen dauerhaft, frei von Abhängigkeiten macht. Das wahre Glück liegt in der Selbstverwirklichung.

 

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